Anlässlich der Einbringung des Antrags der SPD "Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland fördern" in den Bundestag erklärt der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Ernst Dieter Rossmann:
Die Studie "leo. - Level-One Survey" hat Anfang des Jahres ergeben, dass der funktionale Analphabetismus in Deutschland 7,5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter betrifft. Das sind 14,5 Prozent der Bevölkerung, die teilweise zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben können, nicht jedoch zusammenhängende Texte. Sie können somit keine Arbeitseinweisungen, geschweige denn Zeitungen oder Bücher lesen. Diese Erkenntnisse müssen alle Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft alarmieren, erst recht, wenn die Bundeskanzlerin für Deutschland den Anspruch einer "Bildungsrepublik" ausgerufen hat.
Die SPD-Bundestagfraktion will deshalb die Grundbildung und Alphabetisierung auf die bildungspolitische Agenda setzen. Wir dürfen nicht länger wegschauen - Grundbildung und Alphabetisierung sind eine elementare Aufgabe der Bildungspolitik, ein persönlicher existentieller Bedarf und eine gesellschaftlich existenzielle Notwendigkeit, wenn wir nicht ganze Bevölkerungsgruppen aus dem gesellschaftlichen beziehungsweise aus dem Erwerbsleben nachhaltig auszuschließen wollen. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, in die Offensive zu gehen und endlich mit einem umfangreichen politischen Programm auf den Analphabetismus nachhaltig und erfolgreich zu antworten.
Es ist hohe Zeit, mit einem "ALPHA-Grundbildungspakt" zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie allen gesellschaftlichen Kräften die Anzahl der funktionalen Analphabeten in Deutschland so schnell es geht zu halbieren. Wir brauchen deutlich mehr Alphabetisierungskurse, mehr Angebote berufsbegleitender Grundbildung und mehr soziale Begleitung der Betroffenen. Wir brauchen eine zielgruppenorientierte Medienkampagne, eine "ALPHA-Offensive", damit Analphabetismus entstigmatisiert wird und die Betroffenen ermutigt werden, aus ihrer Anonymität herauszutreten und Kurse zu besuchen. Hierbei brauchen wir nicht nur die Massenmedien - wie Fernsehen und Radio -, sondern auch die Hilfe der Familien, der Vereine und der Nachbarschaft. Ebenso setzen wir uns ein für einen Ausbau des Berufsbildes "Alphabetisierungs- und Grundbildungspädagoge".
Dafür fordern wir als SPD-Bundestagfraktion 20 Millionen Euro mehr im Jahr als Beitrag des Bundes beim Einstieg in eine solche Alphabetisierungsoffensive. Dabei wissen alle verantwortlichen Kräfte, das es bei diesen bescheidenen Verstärkungsmitteln angesichts der 7,5 Millionen betroffenen Menschen nicht stehen bleiben kann und darf.
Alphabetisierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe jenseits von politischen Ideologien und verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten. Denn im Prinzip sind wir uns alle - parteiübergreifend - einig, dass hier Entscheidendes getan werden muss. Wir dürfen dieses Anliegen nicht einmal mehr als Tabu an den Rand drängen und verdrängen, nur weil die Menschen, die es betrifft, keine Lobby haben, um auf sich aufmerksam zu machen. Im Gegenteil: Das Tabu des Analphabetismus muss jetzt fallen und die Betroffenen müssen eine Chance bekommen, "Gesicht" zu zeigen und Unterstützung zu erhalten, in ihrem Interesse und im Interesse der Allgemeinheit.